Offener Brief des Studierendenparlaments bezüglich der Ergebnisse der digitalen Umfrage 2.0

Sehr geehrte Universität Hildesheim,
sehr geehrte Dozierende, liebe Studierende,

fast ein Jahr nach Ausbreitung der Covid-Pandemie in Europa und den damit einhergehenden Einschränkungen schauen wir auf zwei Onlinesemester zurück. Nach dem Sommersemester 2020 haben wir, das Studierendenparlament der Universität Hildesheim, eine Umfrage gestartet, die zeigte, dass viel Nachbesserungsbedarf herrschte. Fast die Hälfte der teilnehmenden Studierenden gab an, nicht mit noch einem weiteren digitalen Semester in der angewandten Form zurecht zu kommen. Wir forderten auf Grundlage der Ergebnisse dieser Umfrage, das nächste, das Online-Wintersemester 2020/2021 zu verbessern. Doch ist dies auch geschehen? Ende Januar veröffentlichten wir als Studierendenparlament die Umfrage 2.0., bei der fast 1500 Studierende teilnahmen.

Auf dieser Grundlage wollen wir die beiden Onlinesemester vergleichen: Welche Forderungen wurden umgesetzt? Welche Verbesserungen wurden erzielt? Wir haben die Fragen der ersten Umfrage beibehalten und sie durch weitere ergänzt. Außerdem wurde gezielt nach den Erfahrungen von Studierenden mit Kind gefragt, sowie nach denen der Studierenden, die den Risikogruppen angehören. Des Weiteren haben wir den Teilnehmenden in offenen Feldern ermöglicht, uns Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge mitzuteilen. Auf Grundlage der Zahlen und dieser Anmerkungen möchten wir Ihnen und Euch verdeutlichen, welche Auswirkungen das letzte Semester auf uns Studierende hatte und welche Veränderungen dringend vorgenommen werden müssen.

„Was gut funktioniert: 30CP/Semester. Was nicht so gut funktioniert: dabei etwas mitnehmen und sich gut fühlen“ – Zitat aus der offenen Umfrage “Wie geht ́s 2.0”

Sehr geehrte Dozierende,

wir danken all jenen von Ihnen, die sich tagtäglichen den Schwierigkeiten dieses Online- Semesters stellen. Sie haben Ihre Kurse neu strukturiert, die Inhalte ins Digitale adaptiert, die meisten von Ihnen halten sich an die vorgegebenen Seminarzeiten und stellen die Inhalte gut aufbereitet zur Verfügung. Besonders möchten wir uns bei allen Dozierenden bedanken, die sich die Kritik aus dem Sommersemester zu Herzen genommen haben und den Arbeitsaufwand in ihren Kursen reduziert haben. Wir Studierende zeigen Verständnis, dass es auch für Sie als Dozierende nicht leicht ist, in dieser Zeit Lehre zu betreiben. Wir müssen jedoch auch feststellen, dass uns dieses Verständnis teilweise nicht entgegengebracht wird.

Im Vergleich zum Sommersemester wurde die asynchrone Lehre im Wintersemester ausgebaut. Dies zählte zu den Forderungen, die aus der letzten Umfrage hervorgingen. Doch was macht eine gute asynchrone Lehre aus? Hierbei reicht es nicht, den Studierenden Texte vorzusetzen, zu denen sie wöchentliche Abgaben vorbereiten müssen. Es reicht nicht, Aufgaben zu verschicken, auf Fragen der Studierenden per Mail aber nicht zu antworten. Asynchrone Lehre funktioniert nur, wenn die Dozierenden weiterhin erreichbar bleiben. Gerade in diesem Fall ist eine ständige Kommunikation essenziell. Wir möchten an dieser Stelle appellieren, dass Asynchronität nur ausgewogen funktionieren kann. Wir brauchen den Austausch mit Ihnen und mit unseren Kommiliton*innen. Diese Kommunikation ist bei asynchronen Veranstaltungen nicht gegeben. Daher fordern wir: Eine Flexibilität der synchronen Lehre. Geben Sie den Studierenden die Möglichkeit zwischen synchroner und asynchroner Lehre zu wählen. Nehmen Sie Ihre Veranstaltung auf und stellen Sie sie im Learnweb allen Studierenden zur Verfügung. Sprechen Sie sich innerhalb des Instituts ab, damit gleichwertig asynchrone und synchrone Veranstaltungen angeboten werden.

Erschreckend zu beobachten ist, dass der Stress unter den Studierenden im Vergleich zum Sommersemester zugenommen hat. Das liegt unter anderem daran, dass auch der Workload gestiegen ist. Dass sich am Arbeitsaufwand etwas ändern muss, forderten wir auch schon nach dem Sommersemester. Wie kann es sein, dass sich in dieser Hinsicht kaum etwas geändert hat? Wir fordern von Ihnen als Dozierende: Überdenken sie Ihre Seminarinhalte und -strukturen. Eine eins zu eins Übertragung aus dem gewohnten Präsenzformat ist nicht möglich. Reduzieren Sie die Inhalte, um so eine wirkliche Auseinandersetzung mit Lerninhalten zu ermöglichen. Ein weiterer Grund des steigenden Stresses sind die angesetzten Präsenzprüfungen. Trotz mehrfacher Beschwerden wurde an den Konzepten der Prüfungen in Präsenz festgehalten, mit fadenscheinigen Alternativvorschlägen. Wir Studierende fühlen uns mit unseren Sorgen und Ängsten nicht ernst genommen. Unabhängig von der Art der Prüfungen muss zudem klar sein, dass diese gut organisiert und geplant stattfinden. Deshalb fordern wir eine klare Festlegung von Prüfungsterminen und Art der Prüfung zu Beginn des Semesters. Ständige Wechsel während des Semesters führen zu Verwirrung und Unplanbarkeit. Wir möchten uns auf Prüfungen vorbereiten können, dies ist jedoch nur der Fall, wenn wir auch wissen, wann und wie diese stattfinden. Diese Strukturiertheit fordern wir in allen Bereichen der Universität: Wir brauchen klare Ansagen zu Praktika und Auslandsaufenthalten. Eine ständige Erreichbarkeit der Ämter, wie Prüfungs- oder Immatrikulationsamt muss gerade jetzt gegeben sein. Wir haben vermehrt die Rückmeldung bekommen, dass sich Studierende von der Universität allein gelassen fühlen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in diesen Semestern häufig unter den Tisch fällt, ist die Qualität der Lehre. Inhalte ordnen sich den technischen Gegebenheiten unter, anstatt die Möglichkeiten und Tools der Technik als Chance zu sehen. Wenn Seminare v.a. nur noch von Studierenden gehalten werden, die in Gruppenarbeiten und Referaten die Inhalte aufbereiten – wer kann da noch von einer guten Lehrqualität sprechen? Ausufernde Referate waren noch nie eine gute Idee, doch gerade jetzt werden sie zu einer zusätzlichen Belastung. Verstehen Sie uns nicht falsch, Kleingruppenarbeiten während eines Seminars sind wichtig, nur so können wir gerade jetzt in Austausch mit Kommiliton*innen kommen. Doch dies muss ausgewogen geschehen. Außerhalb der Seminarzeit dürfen solche Arbeiten nicht Überhand nehmen.

Grundsätzlich wünschen wir uns mehr Empathie. Versuchen Sie sich in unsere Situation hineinzuversetzen. Natürlich kann behauptet werden, dass der Arbeitsaufwand im Vergleich zu einem Präsenzsemester gleich geblieben ist. Doch unsere gesamte Lebens- und Arbeitssituation hat sich verändert. Viele von uns leben in WGs, in kleinen Zimmern. Wir haben kaum bis gar keinen Ausgleich neben der Uni. Unsere Hobbys sind weggefallen, wir haben kaum freie Tage. Studierende, die in dieser Zeit ihr Studium begonnen haben, sind in fremde Städte gezogen, in denen sie keine Menschen kennen und nur eingeschränkt kennenlernen können. Diese Aspekte erfordern einen sensiblen Umgang. Das StuPa hat vermehrt Rückmeldungen bekommen, dass ein Ausgleich zur Schreibtischarbeit und die Uniatmosphäre fehlen. In den letzten Monaten haben sich körperliche, wie seelische Beschwerden vermehrt. Es ist auch Aufgabe der Universität, hier Angebote zu ermöglichen. Wir wünschen uns mehr Räume für Austausch zwischen den Studierenden und informelle Teile in den Seminaren, die jede*r Dozent*in einbaut.

Weiterhin gibt die Mehrzahl der Studierenden an, gut im Selbststudium zurecht zu kommen. Die Meisten besitzen ausreichende technische Ressourcen und einen ruhigen Arbeitsplatz. Sehr positiv wurde der Ausbau der elektronischen Unibibliothek aufgenommen und die Entstehung von Arbeitsplätzen. Wir wünschen uns, dass dies beibehalten und weitergeführt wird: Es sollten mehr Arbeitsplätze auf dem gesamten Unigelände entstehen, die von Studierenden gemietet werden können. Außerdem wünschen wir uns einen Zugang zur Bibliothek und den dortigen Druckmöglichkeiten. Andere Unis machen es vor – warum nicht diesen Beispielen folgen und Konzepte übertragen?

Unmut wird außerdem über den immer höher werdenden Semesterbeitrag laut. Für viele Studierende stößt diese finanzielle Belastung auf Unverständnis, wenn die enthaltenen Dienstleistungen kaum oder gar nicht genutzt werden können. An dieser Stelle müssen die Gremien transparenter arbeiten und baldige Lösungen erzielen. Wir, als Studierendenparlament, wissen, dass diese Forderung auch uns betrifft.

“Viele Dozierende sagen zwar, sie haben Verständnis, zeigen es aber oft nicht.”Zitat aus der offenen Umfrage “Wie geht’s 2.0”

In diesem Brief möchten wir außerdem dezidiert auf die Forderungen der Studierenden eingehen, die selbst zur Gruppe der Risikopatient*innen gehören, bzw. direkten Kontakt zu dieser haben. Das Onlinesemester birgt hier viele Möglichkeiten: Anfahrtswege und damit Infektionsrisiken entfallen, auch die Infektionsgefahr in den Hörsälen wird vermindert. Aus dieser Sicht kann von einem „Online-Semester als Segen für Risikopatient*innen“ (Zitat aus der offenen Umfrage “Wie geht ́s 2.0”) gesprochen werden. Umso wichtiger sind adäquate Prüfungsformen. Es sollte immer Onlinealternativen geben. Grundsätzlich ist aber zu beachten, dass Studierende, die sich zu dieser Gruppe zählen, extremen Bedingungen ausgesetzt sind. Körperliche, wie auch seelische Einschränkungen verhindern ein Selbststudium, wie es nötig wäre. An dieser Stelle fordern wir von der Universität und den Dozierenden, mehr Zeit und Raum für Abgaben und die Verarbeitung von Lerninhalten zu gewährleisten. Sie sollten keinen zusätzlichen Stress in dieser überaus schweren Zeit erzeugen.

 

Ganz ähnlich sehen die Forderungen der Studierenden mit Kind aus. Asynchrone Veranstaltungen erleichtern in diesem Fall den Alltag, da flexibler studiert werden kann. Doch die Mehrfachbelastung durch Uni und Familie führt häufig zu einer Überforderung. Generell ist weniger Zeit für das Studium vorhanden, die Konzentration ist geringer, da die Kinder aufgrund der Kita- und Schulschließungen betreut werden müssen. Für Abgaben wird bis spät in die Nacht gearbeitet, es gibt kaum Pausen und Zeit zum Durchatmen. Studierende betonen, dass es fast unmöglich ist, allem gerecht zu werden. Häufig stoßen die Studierenden jedoch auf Unverständnis seitens der Dozierenden. Schul- und Unikonferenzen finden häufig zeitgleich statt. Als Konsequenz können Studierende nicht an Univeranstaltungen oder an kurzfristig terminierten Prüfungen teilnehmen, da so spontan keine Kinderbetreuung organisiert werden kann. Auch hier fordern wir mehr Flexibilität und alternative Möglichkeiten der Prüfungsleistungen.

Dieser Brief soll Ihnen verdeutlichen, welchen Schwierigkeiten wir Studierende ausgesetzt sind. Angesichts weiterer Onlinesemester ist es zwingend notwendig, die aktuelle Lehre zu überarbeiten. Nach zwei Semestern im Digitalen sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir nur noch bedingt Verständnis für eine unzureichende Lehre und Universitätsstruktur aufbringen können und wollen. Verstehen Sie diesen Brief also als dringende Aufforderung, Verbesserungen vorzunehmen.

Wir fordern: Klare Ansagen über Abläufe, kein ständiger Wechsel von Zusagen, (digitale) Räume für einen informellen Austausch zwischen den Studierenden, einen stärkeren Kontakt zu den Dozierenden, mehr Flexibilität. Lasst uns nicht an Prüfungsordnungen festhalten, die für eine andere Lehre konzipiert wurden, ermöglichen Sie uns einen flexibleren Umgang mit Prüfungsleistungen. Wir fordern eine abwechslungsreiche Seminarumsetzung. Tauschen Sie sich mit Kolleg*innen aus, welche Tools gut, welche weniger gut funktionieren. Stellen Sie Material frühzeitig zur Verfügung (am besten zu Beginn des Semesters). Bauen Sie die Arbeitsplätze an der Universität aus, öffnen Sie schrittweise die Bibliothek. Unterstützen Sie vor allem die Erstsemesterstudierenden mehr, indem regelmäßige Veranstaltungen für diese angeboten werden. Verbessern Sie Ihre Medienkompetenz, bieten Sie Fortbildungen für Lehrende an, damit die Lehrqualität nicht unter technischen Unsicherheiten leidet. Reduzieren Sie den Arbeitsaufwand für Ihre Seminare, um so vermeidbaren Stress zu vermindern.

(Bewertungen zum Hybridsemester nach Sternebewertung 1-5)

Zuletzt möchten wir betonen, dass neben diesem immensen Verbesserungsbedarf auch schon viel passiert ist. Wir freuen uns, dass die Serverkapazitäten immer stärker ausgebaut werden, dass die Online-Bibliothek in kurzer Zeit stark erweitert wurde, dass vor allem Tutorien sehr gut organisiert werden, dass kreative Tools (Bspw. Mentimeter, Umfragen, Padlets, etc.) und Pausen in die Seminare eingebaut werden.

Wir bedanken uns bei Euch Studierenden für die Offenheit, die ihr uns in der Umfrage entgegengebracht habt. Wir sehen auch in unserer Arbeit noch großen Verbesserungsbedarf, vor allem in Bezug auf den Semesterbeitrag. Wir geben jeden Tag unser Bestes unserer Aufgabe, die Studierenden zu vertreten, gerecht zu werden.

Lasst uns gemeinsam Lehren aus den Onlinesemestern ziehen und die Universität zu dem Ort gestalten, den wir – Lehrende, Universität und Studierende – uns wünschen.

Wenn Sie sich die Auswertungen genauer ansehen möchten, dann hier einmal die PDF mit den Statistiken: Auswertungen digitale Umfrage

Solidarisch,
das Studierendenparlament 2020/2021 der Universität Hildesheim