LGBTQIA+, diese Buchstabenansammlung steht für eine Community. Die meisten haben sie schon einmal irgendwo gelesen oder gehört. Oft auch in einer abgekürzten Form oder einer deutschen Version wie etwa LSBT. Mir selbst war lange Zeit in meiner Jugend nicht bewusst wofür all diese Buchstaben eigentlich genau stehen sollen.
Kurz nachdem ich mich im Alter von 18 Jahren in der 12. Klasse als schwul geoutet habe, war ich auf der Suche nach genau dieser mir Zugehörigkeit versprechenden Community. In der Kleinstadt, in der ich damals gelebt habe, war das allerdings schwieriger als ich zunächst gedacht habe und deshalb suchte ich im Internet. Auf eine der weniger zwielichtigen schwulen Online Plattformen lernte ich eine Gruppe von jungen Männern kennen, die sich ebenfalls nach einem Freundeskreis sehnten, in dem sie sich über ihr Nicht-Hetero-Sein austauschen konnten. Also machten wir gemeinsam ein Treffen in der nächst größeren Stadt aus, in der es sogar eine Gay-Bar mit dem wunderbaren Namen „Why Not“ gab und vielleicht sogar noch gibt. Es war anfangs wirklich schön mich mit anderen schwulen Männern austauschen zu können und einer von ihnen erklärte mir, er sei nicht schwul, sondern Bisexuell[1]. Er identifizierte sich also nicht mit dem G, sondern mit dem B von LGBTQIA+. Einige aus der Gruppe fanden das unangenehm und warfen ihm vor, er würde nicht wirklich dazugehören, denn er könnte ja jederzeit eine Beziehung mit einer Frau haben und damit all den Problemen aus dem Weg gehen.
Größere Probleme mit diesem Freundeskreis hatte ich erst, als es eine angeregte Diskussion über Maskulinität bzw. das androgyne[2] Auftreten einiger schwuler Männer gab. In diesem Freundeskreis gäbe es das nicht, denn wir seien die „Normalen“. Die heteroliken Gays. Das war der Punkt, an dem ich entschied mich nicht mehr mit diesen Menschen zu treffen. Ich war verwirrt, denn sie waren für mich zu diesem Zeitpunkt das was ich als LGBTQIA+ Community begriffen hatte. Meine Gemeinschaft. Doch diese Community ist nicht eine Community. Sie ist geteilt in kleine Untergruppen, in denen es oft leider Anfeindungen und Ausgrenzungen nach bestimmten Vorurteilen gibt. So wurde der bisexuelle Mann solange nicht akzeptiert, bis er erzählt hat, er hätte keine Lust mehr sich dem Gesellschaftsdruck zu unterwerfen und wolle nur noch Beziehungen mit Männern haben. Erst dann wurde er von der Gruppe, die in diesem Falle das G[3] repräsentiert hat, akzeptiert. Nachdem er quasi seinem eigenem B abgeschworen hatte. Erst später erlebte ich am eigenen Leib wie viel Diskriminierung in schwulen Kreisen herrscht. So wurde ich ständig von weißen* schwulen Männern auf Dating Portalen darauf hingewiesen, dass sie kein Interesse daran haben jemanden zu daten der nicht weiß*, schlank und kein absolutes stereotypisches Bild von Männlichkeit wiederspiegelt. „No Fats, No Femmes[4]“ liest man leider auf gefühlt jedem 5. Dating Profil.
Eine weitere Auffälligkeit aus meiner Zeit in diesem Freundeskreis war, dass diese Männer einige Vorurteile gegenüber lesbischen Frauen hatten. Mir wurde gesagt, dass Schwule und Lesben ja eigentlich überhaupt nichts miteinander zu tun hätten, obwohl das L direkt vor dem G in LGBTQIA+ steht.
Nachdem ich den Kontakt zu diesem Kreis beendet hatte, hörte ich auf aktiv nach dieser Community zu suchen. Ich erfuhr auch erst viel später wofür genau die anderen Buchstaben standen, und lernte ihre Repräsentant*innen noch später erst persönlich kennen. Einige kenne ich bis heute nicht persönlich.
Diese Community ist nicht eine Community. Sie ist geteilt in kleine Untergruppen, in denen es oft leider Anfeindungen und Ausgrenzungen nach bestimmten Vorurteilen gibt.
Erst dieses Jahr lernte ich, warum manchmal zwei Ts benutzt werden. Also LGBTTQIA+. Das liegt daran, dass in der Trans*[5] Community ebenfalls Subgruppen mit teilweise radikal unterschiedlichen Meinungen bestehen. Das beginnt bereits bei der Selbstbezeichnung von Trans* Personen. Einige benutzen beispielsweise einfach Trans*, einige Transgender und wieder andere Transsexuell. Die meisten transidenten Personen, die ich persönlich kenne, finden den Begriff Transsexuell eher problematisch, da er irritierenderweise auf eine Sexualität vermuten lässt statt auf eine Geschlechtsidentität. Doch Trans* Personen haben wie jede andere Person eine individuelle Sexualität die nichts mit der eigenen Geschlechtsidentität zu tun hat.
Allgemein ist oft nicht klar welche Buchstaben alle in diese Sammlung gehören und es gibt einige Diskussionen über die Buchstaben und ihre Bedeutung. Ich habe oft von cis[6]-hetero Menschen gehört, die sich als Verbündete, also Allies der LGBTQIA+ „Community“ sehen und sich immer freuen wenn sie das A sehen, denn dann seien sie ja mitgemeint. Ich selbst finde, dass das ein riesiges Paradox ist, denn wie kann man gleichzeitig „nur“ Ally sein, aber auch Teil der Community? Richtig ist es das A den Aces und Aros zuzuschreiben, also all jenen Menschen die sich als Asexuell oder Aromantisch[7] definieren. Wobei es auch alleine in diesem A ein riesiges Spektrum gibt.
Das I steht für Inter* Menschen, die oft ähnlich wie bei Trans* Personen auch als Intersexuell bezeichnet werden, was ich auch aus den gleichen oben genannten Gründen ziemlich irritierend und veraltet finde. Inter* Personen können Personen sein, die mit unterschiedlich geschlechtlich konnotierten Geschlechtsmerkmalen geboren wurden[8]. Inter*geschlechtlichkeit ist ein Thema, das leider oft unter den Tisch fällt und dem mehr Raum zustehen sollte als ihm oft gegeben wird. So denken viele Menschen auch heute noch, dass es sich dabei um ein unheimlich seltenes Phänomen handelt, dabei ist es genauso normal wie jede andere Geschlechtlichkeit auch. Allerdings werden Inter*Personen häufig direkt nach ihrer Geburt ohne eigene Entscheidungsgewalt operativ an eines der binären[9] Geschlechter angepasst, obwohl sie gesundheitlich meist keinerlei Probleme haben würden.
Durch all diese unterschiedlichen Gruppen von Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten und deren Untergruppen und Selbstbezeichnungen ist es wichtig am Ende von LGBTQIA das Pluszeichen zu setzen. Dadurch wird deutlich, dass all jene mitgemeint sind, die nicht cis und/oder heterosexuell sind.
Und wenn es auch nicht unbedingt die eine LGBTQIA+ Community gibt, so gibt es doch individuelle LGBTQIA+ Communities. Ich kann vielleicht nicht in eine Gay Bar gehen und fühle mich dort absolut verstanden von jedem der übrigen schwulen Männer, die dort abhängen, aber ich habe inzwischen ein Netzwerk aus queeren Personen, die ich zu meinen Freund*innen zähle. Die mich verstehen, die ähnliche Meinungen haben wie ich und, die vor allem auch weit über das G, mit dem ich mich selbst identifizierte, hinausgehen.
Fußnoten:
[1] Als Bisexualität wird die Anziehung zum gleichen und einem weiteren Geschlecht bezeichnet. Trotz des stark binär geprägten Namens dieser Sexualität bezieht sie sich nicht unbedingt nur auf ein binäres Geschlechtssystem. [2] Als Androgyn bezeichnet man zum Beispiel das Verhalten oder die Kleidung einer Person, wenn sie in sich Elemente vereint die sowohl maskulin als auch feminin gelesen werden können. [3] G steht für Gay, also für Homosexualität. Es gibt in ziemlich allen Akronymformen ein L für lesbisch und ein G obwohl Gay lesbisch eigentlich miteinschließt und nicht nur schwule Männer betitelt. [4] Schwule Männer die sich androgyn verhalten und/oder kleiden werden oft als „Femmes“ bezeichnet [5] Als Trans* gelten Personen, die sich nicht als das Geschlecht identifizieren, dass ihnen bei der Geburt fälschlicherweise zugeordnet wurde. Personen bei denen das ihnen zugeordnete Geschlecht dem eigenen gefühlten Geschlecht entspricht bezeichnet man als cis. [6] Als Cis bezeichnet man Menschen die sich als das Geschlecht das ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde identifizieren. [7] Asexuelle Menschen haben entweder kein oder ein eingeschränktes Bedürfnis für Sex. Aromantische Menschen haben kein oder ein eingeschränktes Bedürfnis für romantische Beziehungen. Es gibt ein sehr großes Spektrum an Asexualität und Aromantik. [8] Es ist hierbei zu unterscheiden von dem gesellschaftlichen Geschlecht, dem Gender und dem biologischem Geschlecht, dem Sex. Die Geschlechtsmerkmale von Inter* Personen werden unterschiedlichen Gendern zugeschrieben und können daher nicht nur einem Sex zugeordnet werden. Es kann sich hierbei sowohl um die primären als auch die sekundären Geschlechtsmerkmale handeln. [9] Im binären Geschlechtssystem gibt es nur Männer und Frauen, nichts dazwischen.
Dieser Artikel ist zunächst erschienen auf:
Diversmagazin