Themenwoche: Polizeigewalt und Racial Profiling

Asdaf

Themenwoche: Polizeigewalt und Racial Profiling

Liebe Studierende,
Diese Informationen beziehen sich auf Themen, die ihr auf den ersten Blick möglicherweise nicht in Verbindung mit dem Uni-Alltag bringen könnt. Trotzdem sehen sich viele Studierende unserer Universität tagtäglich damit konfrontiert und in Zeiten der augenscheinlich großen gesellschaftlichen Solidarität möchten wir darüber berichten, um möglichst viele Menschen zu sensibilisieren.

Vor einigen Wochen kam ein Student der Universität Hildesheim auf uns zu und berichtete von einem Erlebnis, welches uns dazu veranlasste, die folgende Themenwoche zu initiieren. Seit Jahrzehnten bemängeln internationale Akteur*innen den Umgang der Behörden mit den Problemen in der deutschen Polizei. In der aktuellen Krisensituation von Covid-19 baut die Politik trotzdem auf eine erhöhte Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit und nimmt damit eine Forcierung aller Konflikte in Kauf, die diese Maßnahme mit sich bringt.

Diese Texte wurden von unserer Referentin für Politische Bildung verfasst.

Wir hoffen, dass ihr gut durch diese schwierige Zeit kommt. Bleibt gesund und passt aufeinander auf!

Euer AStA

 

1. Novellierung der Polizeigesetze

In den letzten Monaten wurden in fast allen Bundesländern trotz breiter gesellschaftlicher Proteste neue Polizeigesetze beschlossen. In Niedersachsen handelt es sich hierbei um das „Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz“. Es regelt Aufgaben und Befugnisse der Polizei und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr.

Mit allen bisher beschlossenen Gesetzesänderungen gehen deutliche Verschärfungen einher, welche die Bürger*innenrechte ganz klar einschränken, die Befugnisse von Polizei- und Ordnungskräften erweitern und dabei die gerichtlichen Kontrollinstanzen zurückstellen. Die primäre Konsequenz des NPOG und aller anderen Novellierungen der Polizeigesetze ist eine Aufweichung der juristischen Definition von Gefahr. Konkret umfassen diese Maßnahmen unter anderem den Gewahrsam bis zu 35 Tagen (nicht zu verwechseln mit einer vom Gericht angeordneten Haft), den Einsatz eines Elektroimpulsgeräts als mildestes Mittel (noch vor dem Einsatz des Schlagstocks) und die Zulassung von Gewehren und Maschinenpistolen als übliche Dienstwaffe. Dass hiermit Befugnisse, die zuvor nur SEK (Sondereinsatzkommandos) oder Bundeswehr hatten, auf die Polizei ausgeweitet werden, scheint kein Problem zu sein. Genau so gering sind die Bedenken bezüglich der gesundheitlichen Risiken bei der Anwendung der sogenannten „Taser“, welche vor allem für Schwangere oder Betroffene mit Kreislauferkrankungen besonders hoch sind. Weitere Befugnisse der Polizei in Niedersachsen umfassen die Installation des kleinen und großen Staatstrojaners, elektronische Fußfesseln zur Erzeugung von Bewegungsbildern, verstärkte Meldeauflagen bei der Polizei, verstärkte Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen, verdeckte Personen-Observationen, verdeckte Sprach- und Bildaufzeichnungen (auch in Privatwohnungen und auf öffentlichen Veranstaltungen), eine automatische Verkehrsüberwachung und noch weitere Maßnahmen, die verfassungsrechtlich gesehen eindeutig in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Menschen eingreifen – und das wohlgemerkt bei keiner konkreten Gefahr, sondern bei einer potentiellen Gefahr, die irgendwann in der Zukunft realisiert werden könnte.

Diese Autoritätserweiterung für „Freund und Helfer“ soll laut z.B. Kai Wegner (CDU Berlin) ein „Zeichen der Wertschätzung“ sein.

Weitere Informationen zum neuen Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz findet ihr hier: https://niedersachsentrojaner.de

2. Polizeigewalt

Aber wieso Wertschätzung? Jährlich wird die Anzahl von Polizeigewalt auf 12.000 Fälle geschätzt. Rafael Behr, ehemaliger Polizist und Polizeisoziologe, spricht bei der Polizei von einem autoritären System, welches an vielen Stellen das eigene Versagen zu vertuschen versucht und dabei interne und externe Kritiker*innen zum Verstummen bringt. Trotz jahrzehntelanger Kritik an unrechtmäßiger Gewaltanwendung im Amt und konkreten Forderungen von Politik und Gesellschaft gibt es noch immer eine starke Diskrepanz zwischen Problemen und Lösungsversuchen innerhalb von Polizeistrukturen.

So wird das Delikt der Körperverletzung im Amt in weniger als 2% der Fälle vor Gericht behandelt. Bei Körperverletzung, die Nicht-Beamt*innen vorgeworfen wird, liegt dieser Prozentsatz bei 20%. Das liegt laut einer Studie der Uni Bochum an mehreren Dingen: Betroffene von Polizeigewalt zeigen diese nur in ca. 9% der Fälle an. Sie rechnen aufgrund der Deutungshoheit und größerer Glaubwürdigkeit der Polizei vor Gericht und in den Medien, fehlender Beweismittel und der Angst vor Gegenanzeigen selten mit einem erfolgreichen Prozessergebnis.
Die ausbleibende Etablierung einer funktionierenden Fehlerkultur und -aufarbeitung wird an diesem Zustand nichts ändern. Solange Kolleg*innen füreinander aussagen und Beamt*innen im Dienst nicht identifizierbar sind, werden Betroffene von Polizeigewalt immer im Nachteil sein. Es muss neben einer unabhängigen Anlaufstelle für Kritik aus Gesellschaft und Polizei auch eine Kennzeichnungspflicht für Beamt*innen und eine Berichts- und Rechenschaftspflicht über angewendete Maßnahmen geben.
Über das Thema Polizeigewalt findet ihr hier eine ausführliche Sendung von Marie von Kuck: https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/das_feature/Feature-Polizeigewalt-in-Deutschland,sendung912418.html und eine Zusammenfassung der Studienergebnisse aus Bochum: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-09/polizeigewalt-studie-ruhr-universitaet-bochum-betroffene-koerperverletzung-polizei/komplettansicht

3. Rechtsextremismus in der Polizei

Zu den erwähnten Problemen in der Polizei gehört auch der Rechtsextremismus in den eigenen Reihen. Erst vor wenigen Monaten fiel die Brandenburger Bereitschaftspolizei durch ein Foto auf, das in den sozialen Medien verbreitet wurde. Die Beamt*innen überstrichen ein Graffiti an einer Wand so, dass das Kürzel der rechtsextremen Gruppierung „Defend Cottbus“ lesbar war und die Polizist*innen posierten davor. Auch Verbindungen zu Netzwerken wie der Gruppe „Nordkreuz“ oder Zusammenhänge zu den NSU-Morden aus Polizeikreisen sorgen regelmäßig für einen öffentlichen Aufschrei in den Medien. Nach jedem Aufschrei wird es wieder ruhig. Doch die Vorfälle gehen weiter. Todeslisten mit Namen aus Datenbanken der Polizei; Frankfurter Beamt*innen, die Drohbriefe an die NSU-Opfer-Anwältin schrieben und unbefugt Daten weitergaben; immer wieder Chats und Mails mit rechtsextremen Äußerungen von Polizist*innen und Beamt*innen, die im Dienst offen rechtsextreme Symbole tragen. Diese Auflistung bezieht sich jedoch lediglich auf die gemeldeten und aufgedeckten Fälle. Insiderberichte, wie der vom ehemaligen Polizeischüler Simon Neumeyer aus Sachsen zeigen die Notwendigkeit des Handelns und trotzdem gibt es noch immer keine zentrale Erfassung von rechtsextremen Aktivitäten in der Polizei. Die Amadeu-Antonio-Stiftung und Deutschlandfunk versuchen sich im Folgenden an einer Zusammenfassung der Vorfälle, wobei in der Realität mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist. https://www.belltower.news/jahresrueckblick-2019-serie-rechtsextremer-faelle-in-der-polizei-kein-ende-in-sicht-94495/, https://www.deutschlandfunk.de/rechtsextremismus-bei-der-polizei-zu-viele-einzelfaelle.724.de.html?dram:article_id=466389

Für die AfD sitzen derzeit 7 Polizist*innen und ein ehemaliger Polizeiausbilder im Bundestag. In den Landtagen ist die entsprechende Situation noch klarer. Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei erklärt diesen Umstand mit dem Wunsch der Beamt*innen, Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren.
Da stellt sich uns die Frage, warum Polizist*innen mit dem Engagement für eine nationalistische, rechtsextreme Partei die Ressentiments gegen marginalisierte Gruppen fördern, anstatt das Vertrauen der Bürger*innen durch eine grundlegende Umstrukturierung der fehlgeleiteten polizeilichen Abläufe zu gewinnen.
Eine treffende Zusammenfassung zum Thema Rechtsextremismus in der Polizei findet ihr hier: https://www.bpb.de/apuz/291189/polizei-und-rechtsextremismus?p=all

4. Racial Profiling

Nun ist es ganz offensichtlich nicht so, dass alle Polizist*innen in Deutschland rechtsextremen Positionen und Ideologien anhängen. Und trotzdem zeichnet der Alltag nicht-weißer Personen in Deutschland ein ganz deutliches Bild. Racial Profiling bei verdachtsunabhängigen Kontrollen ist Ausdruck des institutionellen Rassismus, der auch in anderen Bereichen unseres Lebens vorkommt, bei der Polizei jedoch besonders fatale Konsequenzen mit sich bringen kann. Racial Profiling ist aufgrund des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes verboten, der lautet nämlich: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“(An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass dieses Gesetz an sich schon zu Rassifizierung von Personengruppen veranlasst). Trotzdem werden überwiegend BIPoC Ziel der anlassunbezogenen Schleierfahndung, welche als Abschreckungsinstrument gegen illegale Einreisende Ende des letzten Jahrhunderts in die Gesetzesbücher Einzug fand. Die Existenz und Praktizierung des Racial Profiling wird geleugnet und es gibt noch immer keine offiziellen Datensammlungen oder Studien, obwohl die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Amnesty International und viele weitere nationale und internationale Stellen deutschen Behörden schon mehrfach geraten haben, Maßnahmen gegen Racial Profiling zu etablieren.

Weiterhin lässt sich die deutsche Polizei nicht beirren. Weiterhin treffen polizeiliche Kontrollen, Durchsuchungen auf Drogen, Waffen, die Frage nach dem Aufenthaltsrecht in Deutschland und Identitätsüberprüfungen vor allem BIPoC. Während dieser Kontrollen müssen Betroffene sich nicht selten Beleidigungen und Drohungen von „Freund und Helfer“ gefallen lassen, von der Außenwirkung auf Passant*innen und daraus resultierende Stigmata ganz zu schweigen. Dass entsprechende Stereotype aber entgegen mehrheitlicher Annahmen nicht nur von weißen, sondern auch von nicht-weißen Beamt*innen abgerufen werden, ist ein Zeichen dafür, dass es sich selten um individuellen Rassismus handelt, sondern ein strukturelles Problem zu Grunde liegt. Eine weitere Maßnahme, an der die institutionalisierte Form von Rassismus besonders deutlich wird, ist die der Deklarierung eines Ortes als gefährlich oder kriminalitätsbelastet. In genannten Gebieten haben Polizist*innen erweiterte Handlungsmöglichkeiten und forcieren dabei immer weiter das Vorurteil der „kriminellen Ausländer“.

Die Initiative „Death in Custody“ sammelt alle Fälle, die seit 1993 dokumentiert wurden, in denen von Rassismus betroffene Menschen in Gewahrsam gestorben sind. Bis heute sind es 138 allein in Deutschland. In der Regel werden diensthabende Beamt*innen juristisch nicht belangt. Sie werden von Kolleg*innen gedeckt oder vor Gerichten freigesprochen – so auch 2014 in Hannover. Ein Bundespolizist soll zwei Geflüchtete in Gewahrsam gequält, entwürdigt und später Fotos von ihnen mit eindeutigen Kommentaren an Bekannte verschickt haben. Trotz der Beweislage wurde er freigesprochen. Weitere Informationen zu Racial Profiling findet ihr hier: http://www.polizei-gewalt.com/category/ban-racial-profiling/

Warum ist dies ein unirelevantes Thema?

Durch einen Studenten unserer Universität wurden wir vor einigen Wochen von einem Erlebnis in Kenntnis gesetzt, welches uns wütend und fassungslos macht. Immer wieder leiden Studierende unserer Universität unter Alltagsrassismus und struktureller Ungleichbehandlung, eben auch von Seiten der Polizei. Wir als Studierendenvertretung möchten nicht nur auf dem Papier jegliche Form von Diskriminierung und Gewalt ablehnen. Auch wir sind nicht ohne Fehler und uns ist bewusst, dass wir in unserer Arbeit noch nicht alles berücksichtigen oder richtig machen. Aber wir möchten Solidarität üben, indem wir auf Probleme aufmerksam machen und wir möchten dazu aufrufen, Missstände aufzudecken und deren Bekämpfung voranzubringen.

Wir sprechen uns für eine Kennzeichnungspflicht für Beamt*innen und für die Etablierung einer unabhängigen Kontrollinstanz und Beschwerdestelle aus. Die neuen Polizeigesetze müssen verfassungsrechtlich geprüft und entsprechend angepasst werden! Des Weiteren unterstützen wir jede Bestrebung, offizielle Statistiken über Gewalt, Amtsmissbrauch und Diskriminierung aus den Reihen der Polizei anzulegen, um den Handlungsdruck auf die Behörden zu erhöhen.

Wenn ihr Hinweise oder Wünsche bezüglich unserer Arbeit habt, meldet euch gerne unter kontakt@asta-hildesheim.de oder kontakt@stupa-hildesheim.de.